Beitrag 0031

18.10.2023:

Herbst. Und lange nichts geschrieben. Also hier. Momentan arbeite an meinem neuen Roman und solange dem so ist, wird hier nicht so viel passieren. Mein Verleger weiß noch nicht, dass ich die Struktur des Manuskripts geändert habe. Aber das wird er dann merken, wenn ich ihm die aktuelle Version auf den Tisch lege, bis dahin lasse ich ihn in dem Glauben, dass alles so läuft wie besprochen.

Aber das ist ganz normal. Als ich „Aus unseren Feuern“ schrieb, änderte ich mittendrin mehrmals alles, bis ich die Geschichte gefunden hatte, die ich erzählen wollte. Die Figuren mussten sich mir erst vorstellen, mir zeigen, was sie so erlebt hatten und ich brauchte Zeit, mich in sie hineinzuversetzen, sie zu Leben. Als das dann alles klar war, konnte ich den Roman runterschreiben und ich glaube (oder besser ich hoffe), dass ich nun auch dieses Punkt beim zweiten Buch gefunden habe. Na, wir werden sehen, vielleicht schreibe ich hier in drei Monaten, dass ich die Struktur des Manuskripts dann wieder geänder habe. Kann gut sein.

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Beitrag 0030

20.07.2023:

Heute wäre Uwe Johnson 89 Jahre alt geworden. Ein Autor, der ein beeindruckendes Werk hinterlassen hat und mit nicht einmal fünfzig Jahren viel zu früh verstorben ist. Seine Jahrestage haben mich in meinem Masterstudium intensiv begleitet. Tatsächlich kannte ich Johnson vor meinem Studium überhaupt nicht. Wie so viele andere SchriftstellerInnen, durfte ich ihn im Deutschen Literaturinstitut Leipzig kennenlernen. Meine Wissenslücken vor meinem Studium waren riesig. Bachmann, Jelinek, Frisch, Johnson, Fallada, alle sie kannte ich nicht, bevor ich am DLL mein Studium begonnen hatte. Ich habe sie neugierig aufgeschlagen, in mich hineingeschlungen, auch mal irritiert weggelegt und dann später wieder geöffnet und nochmals neu entdeckt.

Von daher möchte ich dem Deutschen Literaturinstitut Leipzig danken, dass es mir diese tolle Ausbildung gegeben hat, dafür, dass es diesen Ort gibt, an dem Literatur auf den verschiedensten Wegen, und mit den unterschiedlichsten Methoden, vermittelt wird. Gäbe es dieses Haus nicht, es wäre ein großer Verlust für die deutschsprachige Literatur.

Gleichzeitig bin ich dankbar, dass ich an diesem Haus, ohne ein Abitur zu besitzen, erst meinen Bachelor und später meinen Master machen durfte. Es war nicht immer leicht dort, manchmal haderte ich und nach einem Semester hatte ich überlegt hinzuschmeißen. Ich bin geblieben, zum Glück. Und ich würde immer wieder dort studieren wollen.

Wäre das Literaturinstitut nicht, könnte ich heute nicht sagen, dass ich den Uwe-Johnson-Förderpreis gewonnen habe! Danke!

Und an dieser Stelle möchte ich natürlich auch den Förderern des Preises danken, die da wären: Die Mecklenburgische Literaturgesellschaft e.V. in Neubrandenburg, dem Humanistischen Verband Deutschlands, Landesverband Berlin-Brandenburg und der Berliner Kanzlei Gentz und Partner. Vielen Dank!

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Beitrag 0029

19.07.2023:

Ich hatte mir ursprünglich vorgenommen, dass ich mindestens einmal im Monat einen Beitrag hier veröffentliche. Wenn ich schon eine Website betreibe, soll die auch regelmäßig gefüttert werden. Ansonsten wäre das hier nur ein toter Briefkasten. Nun, wie wir sehen, klappt das im Moment mehr schlecht als recht.

Zwei Gründe: Zum einem arbeite ich gerade am nächsten Buch. Hinzu kommt, dass ich gerade in Schweden bin und Urlaub mache. Tatsächlich lassen sich beide Tätigkeiten wunderbar vereinbaren, wie an den folgenden Bildern zu sehen ist. Diese Fotos sind natürlich nicht gestellt. Genau so arbeite ich wirklich. Ist auch überhaupt nicht unbequem. Wer braucht schon einen richtigen Tisch?

Ich melde mich, wenn es wirklich was wichtiges zu verkünden gibt. Und wer weiß, vielleicht ist das ja schon morgen?

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Beitrag 0028

20.03.2023:

Letzten Freitag wurde bekanntgegeben, dass ich den Klopstock-Förderpreis des Landes Sachsen-Anhalt 2023 gewonnen habe. Ich habe die große Ehre mit Menschen wie Marlen Pelny, Aron Boks und Michael Spyra in einer Reihe zu stehen, die ich teilweise aus meiner Zeit am DLL kenne, oder die ich danach kennenlernen durfte.

Es ist merkwürdig. Sicher, ich habe mich viele Jahre auf diesen Weg vorbereitet, den ich gerade gehe, aber dass es dabei sogar Preise gibt, die einem zugesprochen werden, ist dennoch surreal. Ich möchte mich an dieser Stelle bei all denen Menschen bedanken, die mir diesen Weg bereitet haben und ihn bis hier mit mir gemeinsam gegangen sind. Kommt doch bitte noch ein Stück mit! Es macht so viel Freue euch bei mir zu haben.

Danke!

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Beitrag 0027

21.01.2023:

Schreiben, schreiben, schreiben. Dann wieder lesen, löschen, korrigieren, streichen, neu schreiben, anders anordnen und dann alles von vorn. So sieht er aus, mein derzeiter Alltag. Buch zwei ist in Arbeit, es geht voran, wird aber noch ein bisschen dauern, bis ich an dieser Stelle konkreter werden möchte.

Demnächst stehen wieder ein paar Lesungen an. Wir sehen uns in Berlin, mehrmals in Leipzig und auch in Gießen. Kommt gerne rum, ich freue mich auf euch!

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Eintrag 0025

08.11.2022:

Seit nun schon über zwei Wochen bin ich wieder in Deutschland. Und während ich diese Zeilen schreibe, höre ich mir selbst zu, wie ich in der Gesprächszeit auf Radio Bremen 2 ein Interview gebe, das im Sommer in Berlin aufgenommen wurde. In dem Interview spreche ich davon, wie es ist als Handwerker in der Kulutwelt aktiv zu sein. Poet und Prolet halt.

Meine Zeit in Amerika war schön. Zwei Wochen Reise, dann zwei Wochen Dozentur in Idaho. Ich hatte eine Klasse GermanistikstudentInnen, denen ich beibrachte, wie man in sechs Schritten eine Kurzgeschichte schreibt. In einer der Stunden formulierte ich die Formel: Alltagssituation + Konflikt + Plottwist + Ende = Kurzgeschichte. Es würde mich stark interessieren, wie ich mit dieser Formel in den deutschen Schreibschulen ankommen würde. Ein Versuch wäre es ja wert.

Ich weiß natürlich, dass man Literatur nicht auf eine Formel reduzieren kann. Es gibt viele Wege eine funktionierende Geschichte zu schreiben. Bei weitem kenne ich nicht alle. Aber es war mit dieser Formel möglich, ein Gerüst für eine Kurzgeschichte vorzuformulieren. Ein paar der Texte haben sich stark daran orientiert, andere sind weit weg davon gewesen. Und das war besonders toll, diese Geschichten waren so verschieden konzipiert, dass ich mich manchmal gefragt hatte, wer hier gerade mehr lernt: Die Studierenden oder ich. Eine Antwort darauf habe ich nicht.

Dazu konnte ich Ideen und Eindrücke sammeln, die ich noch lange nicht verarbeitet habe. Das wird noch eine ganze Zeit lang dauern. Manchmal werde ich gefragt, was das schönste an der Zeit in Amerika war. Ich habe darauf mehrere Antworten, eine dieser Antworten ist, dass ich diese Reise nicht alleine gemacht habe. Eine andere Antwort ist: Die Reise selbst. Mit dem Auto durch die Wüste, endlich in den Landschaften stehen, die mir Cormac McCarthy in seinen Büchern beschrieben hat. Zu Fuß über die Golden-Gate-Bridge – wobei, das ist in der Vorstellung dann doch deutlich romantischer, als in der Realität. Über die Brücke zu gehen ist schön. Man kann auf die Gefägnisinsel Alcatraz schauen, sieht die Stadt, kann auf den Pazifik schauen. Gleichzeitig hört man den Lärm von vielen Autos, die an einem vorbeifahren. Und das ist wirklich sehr, sehr laut. Abends sind wir dann mit den Cable-Cars durch San Francisco gefahren. Ein abgefahrenes, wunderschönes Erlebnis. Und dann ging es weiter, immer am Pazifik entlang Richtung Norden. Und irgendwann waren wir in dem kleinen Ort Moscow, ich unterrrichtete an der University of Idaho und nun bin ich wieder hier, höre mir selbst im Radio zu und schreibe diese Zeilen.

Und wenn alles gut läuft, kann ich auch bald von den Fortschritten von meinem neuem Romanprojekt berichten. Ich freue mich drauf!

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Eintrag 0024

Oct 5th, 2022:

Hi guys! Ich habe längere Zeit nichts mehr von mir hören lassen. Die letzten Wochen waren ziemlich verrückt. Für den Preis in Hamburg nominiert, plötzlich in dieser Diskussion verwickelt und die Medienanfragen drumherum. Die Lesung in Hamburg war an einem Freitag, am Tag darauf hatte ich eine weitere Lesung im Kapitel10, Zürich. Acht Stunden ICE. Das ist auch so eine Erfahrung. Ich weiß gar nicht, was ich da die ganze Zeit gemacht habe. Aber wenn ihr mal in Zürich seid, schaut unbedingt bei Andreas vorbei. Er hat eine wirklich schöne Buchhandlung und Kaffee gibt es auch noch.

Und dann ist da noch die Sache mit Amerika, wegen der ihr hier alle rumschnüffelt. Vor nicht ganz zwei Wochen bin ich in Las Vegas gelandet, war im Yosemity-Nationalpark, San Francisco und hänge nun in einem sehr zwielichtigen Motel in Eureka ab. Mal schauen wann die Tür auffliegt und und ich in einen Kofferraum geworfen werde. Wenn ich Glück habe, und man mich verschont, geht es gleich weiter nach North Bend. Immer schön am Pazifik entlang. Dann morgen an den Crater Lake und in ein paar Tagen bin ich dann in Idaho, wo mich die Universität erwartet.

Mehr von mir, wenn ich wieder in Deutschland bin! Im Oktober und November gibt es übrigens wieder richtig viele Lesungen mit mir. Kommt zahlreich, bringt eure FreundInnen und Familie mit. Ich freue mich auf euch!

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Eintrag 0023

07.09.2022:

Statement zum Klaus-Michael Kühne-Preis.

DIE ZEIT hat mich um eine Stellungnahme zur aktuellen Debatte um den Klaus-Michael Kühne-Preis gebeten, für den ich dieses Jahr nominiert bin. Der folgende Text basiert auf der Antwort an DIE ZEIT. Persönliche Ansprachen an die Redaktion wurden von mir entfernt, Aussage und Sinn des Textes blieben vollständig erhalten.

Der daraus resultierende Artikel der ZEIT ist hier zu finden.

Ende Juli bekam ich eine E-Mail der Untiefen-Redaktion aus Hamburg. In dieser Mail wurden mir Glückwünsche zur Nominierung für den Klaus-Michael Kühne-Preis übermittelt. Weiterhin wurde mir die Geschichte der Firma Kühne + Nagel präsentiert, die öffentlich weitgehend bekannt ist. Im Artikel des Magazins wurde Herr Kühne dann dafür kritisiert, dass er keine öffentliche Aufarbeitung der Geschichte seines Konzerns zulässt, insbesondere der Zeit des Nazi-Regimes, in der sich die Firma Kühne + Nagel bereichert hat.

Ich zitiere aus der Mail der Untiefen:

„Doch fragen wir uns – und Sie: Wenn die öffentliche Ablehnung des Preises keine sinnvolle Option ist, was könnten dann alternative Wege sein, mit dem problematischen Hintergrund des Preises und seines Stifters dennoch Umgang zu finden?“

Hierauf habe ich den Untiefen geantwortet, dass ich es vor allem als problematisch ansehe, dass die öffentliche Kulturförderung sich immer weiter zurückzieht. Als Beispiel erwähnte ich den MDR-Literaturpreis, der bis 2015 jährlich vergeben und dann ohne Not kassiert wurde. In diese Lücke stoßen private Finanziers, die die fehlende öffentliche Förderung ersetzen. In meiner E-Mail habe ich darauf hingewiesen, dass die Hamburger Jury frei in Ihrem Handeln und der Preis meiner Meinung nach sehr gut kuratiert ist. Es ist mir eine große Ehre und Freude, mit AutorInnen wie Annika Büsing und Daniel Schulz in einer Reihe zu stehen. Auch die Betreuung seitens des Festivals ist sehr angenehm, die Rahmenbedingungen um den Preis herum sind erstklassig. Tatsächlich kenne ich keine Veranstaltung, die sich derart intensiv nur um DebütantInnen kümmert.

Bleibt da noch die Sache mit Kühne . Dass Herr Kühne die Nazi-Vergangenheit seiner Firma nicht aufarbeitet, ist falsch, ich verstehe seine Weigerung nicht. Würde er sich zu dem Schritt entschließen, wie es etwa die Familie Quandt getan hat, würde Klarheit herrschen. Das Deutschland der Gegenwart ist eine postfaschistische Gesellschaft. Noch immer leben Opfer und deren Peiniger unter uns. Zahlreiche deutsche Konzerne wie Kühne + Nagel, Volkswagen, BASF, Deutsche Bank, Deutsche Bahn, Daimler-Benz, Siemens, Henkel, Karstadt, Kaufhof haben aktiv dem Nationalsozialismus Vorschub geleistet, von ihm profitiert, Menschen bis zum Tod auf widerlichste Art und Weise ausgebeutet und gleichzeitig andere Menschen sehr reich gemacht. Deutscher Reichtum ist in vielen, wenn nicht sogar in den meisten Fällen auf dem Rücken der Opfer der NS-Zeit entstanden. So zu tun, als wäre alles in Ordnung, wenn Herr Kühne die NS-Vergangenheit aufarbeiten ließe, wäre auch falsch. Wir haben ein strukturelles Gesellschaftsproblem, zu dem wir AutorInnen uns individuell verhalten sollen.

Meine Haltung ist diese: Sollte ich diesen Preis gewinnen, werde ich das Geld annehmen. Einen beträchtlichen Teil werde ich dem Miteinander e.V. spenden, der Opfer rechter Gewalt betreut. Das restliche Geld benötige ich, um frei schreiben und arbeiten zu können. Ich entstamme einfachen Verhältnissen und musste mir bereits in jungen Jahren meinen Lebensunterhalt komplett selbst verdienen.

Zum Preis an sich: Die Jury ist, wie erwähnt, frei in ihrem Handeln. Gestandene Persönlichkeiten, wie unter anderem Judith Liere und Felix Bayer, werden sich wohl kaum von Klaus-Michael Kühne diktieren lassen, wer diesen Preis zu gewinnen hat. Wichtig ist mir: Die nominierten SchriftstellerInnen haben tolle Debüts hingelegt, die nun ihre wohlverdiente Aufmerksamkeit bekommen sollten.

Natürlich wünsche ich mir Alternativen zum Mäzenatentum einzelner. Warum gibt es keine Literaturförderung, die SchriftstellerInnnen in der Breite fördert, sodass diese gar nicht auf solche Preise angewiesen wären? Wie wäre es mit einem ZEIT-Literaturpreis? Warum lassen wir es als Gesellschaft überhaupt zu, dass sich Milliardäre so verhalten können, wie Kühne es tut? Der Mann lebt in der Schweiz, zahlt praktisch keine Steuern in Deutschland. Das erscheint mir problematischer, als dass er seinen Namen auf einen Preis schreiben und diesen, wohlgemerkt sehr professionell, organisieren lässt. Und wäre es nicht an der Zeit, dass wir, und da darf DIE ZEIT gern vorneweg gehen, ernsthaft über eine Umverteilung der Vermögen in Deutschland sprechen? Seit Jahrzehnten fließt das Geld in immer größeren Strömen zu den immer gleichen Leuten. 10.000 Euro davon sollen zurückfließen. TrägerInnen des Klaus-Michael Kühne-Preises waren unter anderem Christian Baron, Olga Grjasnowa und viele weitere SchriftstellerInnen, die auch Dank dieses Preises Ihren eigenen, selbstbestimmten Weg als KünstlerInnen beginnen konnten.

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Eintrag 0022

07.06.2022:

Diesen Monat gibt es einen ganz kleinen Auzug von mir im Magazin der Deutschen Bahn, DB-Mobil (Seite 51). In meiner Naivität dachte ich, dass die Bahn richtig viel Text von mir haben will, und habe dementsprechend in die Tastatur gehauen.
Naja, wie soll ich sagen, es war ein bisschen zu viel Text. Es fällt mir in der Tat nicht immer leicht, mich kurz zu fassen. Meinem Roman hätte ich locker um 100 Seiten erweitern können. Inzwischen ist es so, dass ich auf meinen Lesungen oft von den Hintergründen der Figuren erzähle. Für mich ist da so viel mehr in den Charaktären, als dann tatsächlich im Buch gezeigt wird. Die Väter von Heiko und Thomas haben eine komplexe Vorgeschichte miteinander, aus der allein man einen ganzen Roman spinnen könnte.

Aber darum soll es heute nicht gehen und ich bin schon wieder vom Thema abgekommen. Wie bereits gesagt, durfte ich etwas für die Deutsche Bahn schreiben. Die kleine Version meines Textes finde ich ganz schön, aber ich gebe zu, dass ich die lange Version noch etwas schöner finde. Das hat auch ganz viel mit dieser Website hier zu tun. Vor einem halben Jahr habe ich hier an dieser Stelle von meinen Recherchen am Beetzendorfer Bahnhof geschrieben. Der Text im Heft der Bahn schließt nahtlos daran an, denn die Bahn wollte Orte genannt bekommen, an denen ich mich zum Schreiben inspierieren lasse. Ja, und was kann es da schöneres im Heft der Bahn geben, als einen kleinen Text zu einem Bahnhof?

Hier ist er:

Der Beetzendorfer Bahnhof war in meiner Jugend ein beständiger Fixpunkt. Jeden Mittwoch fuhr ich von hier mit der Ferkeltaxe nach Salzwedel. Diese wöchentlichen Fahrten waren mein erster Versuch eines Aufbruchs in ein selbstständiges Leben. Raus aus dem kleinen Dorf, rein in die kleine Provinzstadt. Hier konnte ich ganz vornehm Baumkuchen essen, kindisch den Spielwarenladen auf der Neuperverstraße plündern und schon fast Erwachsen Schmuddelhefte im Sexshop einsacken. Dann, am Abend, ging es zurück in die graugrüne Ferkeltaxe, die mich langsam, über die Felder tuckernd, zum Beetzendorfer Bahnhof zurückbrachte.

In den Jahren seiner Erbauung lag der Bahnhof am südlichen Ende des Dorfes. Nach und nach wuchs der Ort über die Schienen hinweg, er spiegelte sich praktisch an den Gleisen, sodass der Bahnhof heute in der Mitte liegt. Ein kleiner Vorplatz ähnelt einem Markt, früher gab es eine Kneipe im, und eine Eisdiele am Bahnhof. Beides ist verschwunden, nur der Getränkemarkt in unmittelbarer Nähe zeugt noch von der alten Geschäftstüchtigkeit.

Auch wenn seit gut zwanzig Jahren keine Ferkeltaxe mehr hier Halt macht, mag ich diesen Bahnhof. Sein Anblick erzählt viel von dem Ort. Steht man auf dem alten und schiefen Gleispflaster, so fällt es nicht schwer sich vorzustellen, wie hier Menschen ein- und ausstiegen, wie Besoffene aus der Kneipe und in die Züge torkelten, wie Fracht ent- und beladen wurde. Man kann sogar die Schweine riechen, die in die Züge getrieben wurden, und die der Namensgeber der Schienenbusse waren, die hier stündlich hielten. Und jedes Mal wenn ich hier stehe, sehe ich auf den kleinen Schrankenwärterturm und höre das Läuten der Glocken, wenn die Frau im Turm die Schranken herunterkurbelte. Sogar ihre Bewegungen habe ich noch präzise vor Augen.

Der Leipziger Bahnhof lädt zum Flanieren, der Frankfurter ist berüchtigt und der Stuttgarter bald unter der Erde. Der Beetzendorfer Bahnhof jedoch, ist ein Überbleibsel aus einer anderen, längst vergangenen Zeit. Wer hier einstieg, fuhr nach Oebisfelde oder Salzwedel. Links und rechts der Bahnstrecke Kartoffeläcker, Weizenfelder und Kiefernwälder. Altes, märkisches Land. Von Oebisfelde ging es weiter nach Magdeburg. Und wer ganz weit weg wollte, der konnte vor hundert Jahren in Salzwedel auf die Amerikalinie umsteigen, und dort seinen großen Träumen nachjagen. Amerika. In Beetzendorf fing dieser Traum an.

Und das macht diesen Bahnhof so schön, auch wenn er die besten Zeiten schon lange hinter sich hat: Noch heute lädt er zum Träumen ein.

Und an dieser Stelle sei eins verraten: In meinem nächsten Roman wird dieser Bahnhof nicht nur einmal auftauchen. Von irgendwo müssen die Figuren ja aufbrechen, wenn sie in die große Welt wollen. Genau wie ich damals.

Und weil die Phantasie so schön sein kann, werde ich heute kein Bild vom Bahnhof posten. Habt einen schönen Juni! Wir sehen uns diesen Monat noch in Dresden und in Köln, ich freu mich auf euch!

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